»Wir sind nicht die PKK«
Interview: Nils Metzger auf Zenith
Asya Abdullah Osman, Ko-Vorsitzende der Kurdenpartei PYD, über die Kämpfe in Aleppo, die kurdischen Interessen im syrischen Bürgerkrieg – und die Haltung der PYD zu einer möglichen türkischen Intervention.
zenith: Nachdem die Waffenruhe zwischen kurdischen Milizen und Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) über Monate eingehalten wurde, eskaliert seit wenigen Wochen die Gewalt im Aleppiner Stadtteil Ashrafiya und anderen mehrheitlich kurdischen Teilen des Landes. Was genau ist vorgefallen?
Asya Abdullah Osman: Dass es bislang noch keine militärischen Auseinandersetzungen in den kurdischen Gebieten gab, ist uns zu verdanken. Die Kurden haben sich gegen einen Krieg ausgesprochen, nehmen sich aber das Recht heraus, ihr Gebiet zu verteidigen. In Ashrafiya, wie in ganz Nordsyrien, gibt es zahlreiche Flüchtlinge, Kurden wie Araber – und die Anwohner haben ihnen endlos Hilfe geleistet, sich an den Kämpfen aber nicht beteiligt. Der Angriff der Rebellen auf diesen Stadtteil sollte diese Ruhe stören, die Kurden zwingen, Position zu beziehen und sie in den Krieg hineinzuziehen.
Es wurde nie genau spezifiziert, welche FSA-Verbände daran beteiligt waren, oder ob auch die Islamisten von Jabhat al-Nusra verantwortlich waren.
Verschiedene Gruppen waren daran beteiligt. Nach eingehender Prüfung der Ereignisse und nachdem uns die Freie Syrische Armee versicherte, nicht dafür verantwortlich zu sein, vermuten wir von der Türkei finanzierte Kämpfer dahinter. Darüber hinaus kamen am gleichen Tag 21 kurdische Zivilisten ums Leben, als die syrische Armee Ashrafiya bombardierte.
In der Folge handelten die Bürgermilizen (YPG) ein Abkommen mit der FSA aus, das erneutes Blutvergießen verhindern sollte. Trotzdem kommt es jeden Tag zu weiteren Zusammenstößen zwischen YPG und FSA.
Wir sehen keinen Sinn darin, einen Krieg gegen die Freie Syrische Armee zu führen. Das war nie unser Ziel. Wir möchten die Vereinbarungen mit der FSA, aber auch allen anderen bewaffneten Gruppen in der Region einhalten, sodass der Frieden in den kurdischen Gebieten fortbesteht. So wenden wir uns auch gegen die Kräfte, die immer wieder versuchen, Kurden und Araber aufeinander zu hetzen.
Positioniert sich die PYD im syrischen Bürgerkrieg gerade neu? Wie haben die Kämpfe der letzten Wochen und der Versuch, einen Waffenstillstand zu vereinbaren, Ihre Position zum Regime Baschar al-Assads verändert?
Wir sind weder für Assad, noch für die anderen Gruppen und haben auch nie mit einer von ihnen ein Bündnis beschlossen. Auch die syrische Opposition kritisieren wir wegen ihrer Kurdenpolitik und ihrer Weigerung, unseren Forderungen in diesem Punkt nachzukommen. Dabei hat sich unsere Politik seit dem Aufstand nicht verändert. Auch schon vor 2011 haben wir uns gegen die Politik Baschar al-Assads gewandt. Als unabhängige Partei sind wir nicht gegen etwas, sondern für die kurdische Unabhängigkeit in einem demokratischen Syrien. Wir möchten das Regime durch eigene Strukturen ersetzen und führen darum demokratische Wahlen in unseren Gebieten durch.
Doch wie lange können Sie sich diese Neutralität noch leisten? Wie sehr muss der Bürgerkrieg noch eskalieren, damit die PYD Position beziehen muss?
Personen, die uns dafür kritisieren, vertreten schlicht eine andere Meinung. Das müssen wir hinnehmen. Gleichwohl spricht sich die PYD trotzdem gegen den Krieg aus. Unser Konzept einer demokratischen Autonomie ist nicht nur ein Plan für die kurdischen Gebiete, sondern für Gesamtsyrien.
Fraglich ist aber auch, wie demokratisch eine Ordnung ist, in der die PYD mit den ihnen nahestehenden Verbänden der YPG ein faktisches Gewaltmonopol ausübt.
Wir sind eine politische Partei und die Verteidigungskräfte sind nicht an die PYD, sondern nur an den Dachverband der diversen kurdischen Parteien, den »Hohen Rat«, gebunden. Und sie setzen sich für den Schutz der gesamten kurdischen Bevölkerung ein, nicht nur den Teilen, die unserer Partei nahe stehen. Alle Milizenführer haben Erklärungen abgegeben, in denen sie versichern, alle Kurden gleichermaßen zu vertreten. Es war eine Entscheidung des »Hohen Rates«, in dem wir Mitglied sind, dass diese Verbände aufgestellt werden. Die häufige Darstellung, dass die YPG lediglich ein militärischer Arm der PYD sind, ist falsch.
»Seit Jahrzehnten sind wir lediglich der Spielball syrischer und türkischer Regierungen«
Doch weshalb bezeichnen sich dann Kämpfer der YPG selbst wahlweise als Vertreter der PYD oder sogar als PKK-Kämpfer? Auch auf syrischer Seite sieht man an vielen Checkpoints Flaggen der PKK und Portraits von Abdullah Öcalan.
Dabei muss es sich um ein Missverständnis handeln. Die einzige Verbindung zwischen PYD und den Milizen ist die Mitgliedschaft im »Hohen Rat«. Über Jahrzehnte hat das Assad-Regime, damals noch unter Hafiz al-Assad, die kurdischen Parteien alle gleich behandelt – und deren Anliegen gleichermaßen ignoriert. In den letzten zehn Jahren (seit der Auslieferung Abdullah Öcalans an die Türkei, Anm. d. Rd.) hat die PYD jedoch besonders unter dem Assad-Regime gelitten. Tausende unserer Mitglieder wurden verhaftet und gefoltert. Von dieser neuen Politik war nur die PYD betroffen. Wo waren zu diesem Zeitpunkt die Mitglieder der anderen Parteien? Wo war deren Unterstützung?
Belastet das die innerkurdischen Beziehungen bis heute? Und hat dies auch die Organisation einer gemeinsamen Oppositionsbewegung erschwert?
Wir wollten uns bereits im Oktober 2011 dem Syrischen Nationalrat anschließen. Nur haben die anderen Fraktionen unsere Beteiligung abgelehnt und sich unseren zentralen Forderungen in der Kurdenpolitik verweigert. Dass wir darauf gepocht haben, dass sämtliche unserer Vertreter im Syrischen Nationalrat demokratisch legitimiert sind, ist wiederum bei vielen anderen kurdischen Gruppen auf Ablehnung gestoßen.
Von türkischer Seite kommt immer wieder der Vorwurf, die PYD werde von der PKK mit Waffen unterstützt und kämpfe für einen kurdischen Staat in der ganzen Region.
Die PYD ist eine westkurdische, eine syrische Partei. Wir sind ausschließlich auf dieses Gebiet beschränkt. Alles was sich die PYD bis heute erkämpft hat, hat sie sich selbst zu verdanken. Wir sind nicht nicht auf ausländische Kräfte und deren Waffen angewiesen. Und es gibt definitiv keine gemeinsamen Planungen oder eine Koordination mit der PKK. Der Konflikt zwischen der PKK und der Türkei wurde schon vor Beginn des syrischen Krieges ausgetragen und ist der dortigen Politik zu verdanken. Wir haben daran keinen Anteil. Seit Jahrzehnten sind wir lediglich der Spielball syrischer und türkischer Regierungen. Wenn die PKK jetzt entscheidet, zu den Waffen zu greifen, dann tut sie dies nicht für die PYD, sondern für die kurdische Bevölkerung.
Viele Menschen im Norden Syriens wünschen sich ausdrücklich ein Eingreifen der türkischen Armee, damit der Krieg möglichst schnell aufhört. Wie stehen Sie dazu?
Wir nehmen jede Hilfe gerne an, die den Krieg beendet. Diese Unterstützung begrüßen wir über unsere Grenzen hinaus. Wir akzeptieren jedoch keinen Eingriff, der lediglich dazu dient, eigene Interessen durchzusetzen, wie es die Türkei tun würde. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob sich die türkische Armee aus den kurdischen Gebieten fern halten würde. Wir sind für eine Demokratisierung ganz Syriens. Wenn die Türkei jedoch aus Menschlichkeit heraus die Oppositionsbewegung unterstützen möchte und kurdische Traditionen respektiert, dann stehen auch unsere Türen für sie offen.
»Uns lädt man nie zu Konferenzen ein. Wie sollen wir da Vorurteile aus dem Weg räumen?«
Fürchten Sie als säkulare Partei den steigenden Einfluss islamistischer und salafistischer Gruppen auf die syrische Opposition?
Kein religiöses System wird die syrischen Probleme beheben können. In einem Vielvölkerstaat ist ein demokratisches System die einzige Lösung, in der alle Religionen und Ethnien Gehör finden. Die Atmosphäre in Syrien ist gerade sehr gespannt und die einzelnen religiösen Fraktionen sind kurz davor, eine Eskalation zu starten. Aus unserer Sicht ist es sehr gefährlich zu fordern, man müsse sich primär als Sunnit, oder Christ definieren.
In der autonomen Provinz Nordirak haben die Kurden bereits vieles von dem erreicht, was Sie nun für Syrien fordern. Welchen Einfluss haben die großen irakisch-kurdischen Familienclans Barzani und Talabani auf den Konflikt in Syrien?
Sie können sich diplomatisch einbringen. Beide Familien haben Kontakte und deutlich mehr internationalen Einfluss als die kurdischen Parteien in Syrien. Sie helfen uns bei der Bewältigung der alltäglichen Probleme: Hunger und Armut – dem relativen Wohlstand Südkurdistans sei Dank. Da wir aktuell die gleichen Probleme wie der Rest Syriens erleben, wäre es natürlich auch wünschenswert, dass wir wie andere Teile des Landes auch Unterstützung durch den Nationalrat erhalten. Dem ist noch nicht so.
Dass die PYD oft in einem Atemzug mit der PKK genannt wird, hat handfeste Folgen für Ihre diplomatische Arbeit. Noch immer steht die PKK auf der Liste terroristischer Organisation der Europäischen Union und entsprechend vorsichtig ist die Politik, auch Sie zu unterstützen. Halten Sie das für angemessen?
Es ist ein grundsätzlicher Fehler, dass die PYD in Zusammenhang mit der PKK gesehen wird. Wir sind eine Partei in Syrien und es ist nicht ehrlich, die ganze Zeit nur über, aber nie mit uns zu reden. Uns lädt man nie zu Konferenzen ein, uns hört man nicht an. Wie sollen wir da Vorurteile aus dem Weg räumen? Auch wenn es viele Gründe gibt, die PKK von dieser Liste herunter zu nehmen, so soll man die PYD doch bitte nicht unter diesem Gesichtspunkt bewerten. Das ist sind zwei separate Anliegen.
Asya Abdullah Osman,
wurde 1971 in Hasaka geboren. Im Jahre 2003 gehörte sie zu den Mitgründern der »Partei der Demokratischen Einheit« (PYD). Im Juni 2012 wurde Abdullah Osman auf dem 5. Parteikongress zur Ko-Vorsitzenden der Partei gewählt.